07 Februar 2010

Callcenter des Todes - 2. Kapitel

in dem Susi Barthels tot aufgefunden wird

Susi ist abgestochen worden, wie man sagt. Ein Saftsack sozusagen, 5 Liter waren drin, ein Großteil jetzt auf der Auslegeware. Der Teppich ist hin, das kriegt man nicht mehr raus. Auch am Sofa (Das erste, dass nicht von Ikea ist), Blut, viel Blut. Getrocknet inzwischen. Schon wieder das Handy, dass diese traurige Stille stört. Susi geht nicht ran. Seit Stunden schon nicht, schon gestern nicht.

Das kann schon mal vorkommen, wer macht sich denn da Sorgen? Mit der Familie hat sie nicht viel Kontakt, die wohnen zwar nicht weit, aber dass man täglich anruft? Nee. Tag 2: Vorbei.

Am nächsten Morgen sind 6 Anrufe eingegangen und 3 Nachrichten auf der Mailbox. Die Sonne strahlt in das Küchenfenster. Dieser Blick am Morgen aus der Wohnung, 3 Stock, auf den Ortsrand und dort hinten den See: viel mehr Schönes gab es nicht in der Wohnung. Es wäre verfrüht, sich schon jetzt Gedanken darüber zu machen, was mit den Sachen passiert, schließlich war das Schreckliche ja noch nicht bekannt geworden, aber bei eBay würde man für „alles zusammen“ höchstens einen mittleren dreistelligen Betrag erzielen. Bis auf die Couch vielleicht, aber die war leider ruiniert. Alles andere war billig gewesen und nicht mehr ganz neu.

Persönliche Dinge? Ein paar alte Briefe, als man sich noch Briefe schrieb, Souvenirs, Schmuck, Andenken an Musikkonzerte oder Urlaubstage. Amtlich Unterlagen, Ordner mit Versicherungs--- und Kreditangelegenheiten (die Sache mit der Schufa damals), Kontoauszüge,Kleinigkeiten..

An diesem Donnertag mit diesem schönen Morgen hätte sie wieder von 8:00 Uhr bis 16:30 Schicht gehabt. Kam aber nicht. Nach Schichtende zwei neue 2 Nachrichten auf der Mailbox. -  Ohne Krankschreibung solle sie nicht wieder kommen...

… der andere Anruf war von Susis Freund. Der hatte schon mehrmals angerufen. Susis Freund ist Rettungssanitäter. In dem aktuellen Anruf hatte er seinen Besuch angekündigt, für den nächsten Vormittag. Verärgert sein Tonfall, weil Susi sich vielleicht herumtreibt.
Die beiden wollen doch zusammenziehen, und wohl auch einmal Kinder haben... Zunächst aber: Leben, Urlaub, Party, Spaß haben, bevor man alt ist. Susi dachte: Schon 27.

Susi war proper. Blond und fröhlich. Drall. Holz vor der Hütten. Die Klamotten zu eng gekauft, in der Hoffnung, dass sie ein paar Kilo abnehmen würde. Was aber nie passierte. Eine tolle Figur: Weiblich. Susi war beliebt. Ein kleiner Diamant in der Nase und keltische ornamentale Linien über dem Steiß. Freundlich und unverbindlich: Call-Center-Qualitäten. Sie schaffte viele Calls, weil sie kontinuierlich arbeitete. Wenig Eskalationen. Gutes technisches Verständnis. Keine Rechtschreibfehler: Führungspotential.

Wenn der Geburtstag eines Kollegen anstand, dann sammelte Susi und kaufte etwas Originelles bei Nanu-Nana, wo sie 10% Rabatt bekam, wegen ihrer besten Freundin aus der Schule, die war seit Jahren in der Filiale.

Aber wer will über die Arbeit reden: Im Sommer war man viel am See. Susis Freund teilte sich die Badeaufsicht an einer kleinen, bewachten Brandenburger Badestelle mit ein paar befreundeten Rettungssanitätern und DLRG-Schwimmern. Dafür bekamen sie eine Aufwandsentschädigung und hatten jeder einen Schlüssel für das Haus am See. Abends konnte man dort schön feiern. Da kommt man zur Ruhe. So eine Mondnacht auf dem Steg, man hört die Frösche: da haben sie sich kennen gelernt. Susi und ihr Freund. 3 Jahre ist das jetzt her.

Wie still es jetzt ist...

Am nächsten Morgen kommt er, wie versprochen. Mit dem Auto. Dann hat er ein ganz komisches Gefühl, als er in die Thälmannstraße einbiegt, vielleicht weil Susis Auto schon von einer dünnen Staubschicht bedeckt ist. Er klingelt unten, wartet, klingelt noch mal und schließt dann die Tür zum Treppenhaus auf.

3. Stock, zwei Stufen auf einmal. Klingeln, klopfen, Schlüssel in der Hand, plötzlich wie in Zeitlupe: Schlüsselloch finden, drehen, nicht abgeschlossen, leicht am Knauf ziehen, entriegeln, drücken, die Tür ist ein wenig verzogen, der Flur ist dunkel, die Hand zum Lichtschalter, Licht an, Küchentür, Tür zum Bad, Zimmertür. Die Zimmertür ist angelehnt. Achtung: im Flur Schuhe im Weg, zwei Schritten zur Tür, öffnen: Schreckliches. Nicht verstehen. Schreckliches. Haare? Ihre Haare? ihr Kopf?, so verdreht. Dann das Blut. Auf dem Teppich, auf dem Sofa. Sehr viel. Ein bisschen hart und zäh wie Weichkaramell inzwischen. Sehr dunkelrot.

Man muss sich festhalten, als ob der Fahrstuhl ruckelt oder es ein Erdbeben gibt, „Wenn du dir das ansiehst, hast du Albträume dein Leben lang“, er dreht sich weg, geht aus der Tür, in Treppenhaus zurück, setzt sich auf die Stufen, „Ich hätte gern ein Glas Wasser“: unangemessene Gedanken. Hirnrasen. Herzrasen. „Der Schrei“ - von Munch: So fühlte er sich. Er riss den Mund zu einer Fratze auf wie ein Clown.
-

Dann: Anruf bei der Polizei.

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