07 Juli 2009

Alles ruhig am 1. Mai

Am Tag der Arbeit lädt der Kollege zum Geburtstag. Wie passend. Ab 18:00 Uhr im "Zimt & Zunder". Da will ich hin, mal schauen, wie die jungen Menschen heut so feiern. Obwohl er 35 wird und auch schon zu den Älteren gehört. Aus Firmenperspektive.
Das "Zimt & Zunder" liegt hinter der Frankfurter Allee in einem ehemaligen Hausbesetzer-Viertel. Eine Eckkneipe mit Blick auf das letzte besetzte Haus in Ostberlin:
Das X-Beliebig in der Liebigstraße. "Wir sind nicht käuflich", ist in großen, bunten Buchstaben an die Hausruine gemalt. Mir fällt da immer ein Satz von Dr. Seltsam ein: "Es ist leicht, nicht käuflich zu sein, wenn einen niemand kaufen will."
Um die Ecke steht ein Polizeiauto.
In der Kneipe ist die Feier schon in Gange. Es wird gratuliert und ausgepackt und Tüten gebaut. Vor dem ersten Bier probiere ich einmal - das wird ein lustiger Abend.
Vor der Tür eine Sportzigarette. Die Kollegen stehen zusammen und haben eine Geschäftsidee: Aus Bangkok oder Vietnam wollen sie historische Roller importieren, containerweise und hier mit dickem Gewinn verkaufen. Es fehlt nur das Startkapital. Die Kollegen gehören zu den Zeitgenossen, die, hätte sie nur ein Startkapital, längst reich wären. Wir stehen im Halbkreis, den Blick auf das besetzte Haus und rechnen noch mal durch: Wie reich wir wären, wenn wir ein Startkapital hätten.

Langsam wird es dunkel und aus dem alten Haus gegenüber werden alte Sperrmüllsofas auf die Straße getragen, ein Einkaufswagen wird mit Holzscheiten gefüllt. Am 1. Mai in Berlin muss es ein Lagerfeuer geben.
Die Polizisten sprechen in ihr Funkgerät. Wir rauchen und trinken.
Im "Zimt & Zunder" gibt es keinen Billiard, kein Dart, keinen Flipper und kein Tischfußball - hier gibt es eine Tischtennisplatte. "Ich war mal ganz gut im Tischtennis", sag ich. "Das sagen sie alle", antwortet das Geburtstagskind, - Vereinsspieler.
Der Laden füllt sich: Sportler, Musiker und Affiliates. Draußen fährt die Polizei vorbei. Erst der Corsa, dann ein Touran, dann ein Bully, 6-Pack genannt, schließlich hält eine Wanne. Sieben Grüne steigen aus, dick verpackt. Sie ermahnen die Hausbesetzerinnen... ohne Erfolg, dann kommt ein Feuerlöscher zum Einsatz, dann fahren sie wieder weg, und der Corsa nimmt seinen Platz wieder ein.
Auf dieser Seite der Straße sind die Meinungen zum Polizeieinsatz geteilt: "Bullenschweine" bzw. "härter durchgreifen" hält sich etwa die Waage. Ich plädiere für Deeskalation und lobe die Polizei und das Land, in dem es so zivil zugeht, so gelingt es mir in kurzer Zeit, beide Seiten gegen mich aufzubringen.
"Kampflesben" wohnen in dem Haus gegenüber, erfahre ich; kurz denke ich dran, rüber zu gehen und sie eines besseren zu belehren... 'n andermal, die laufen ja nicht weg.
An der Platte stehen: Ein Deutscher, ein Russe, ein Amerikaner und ein Vietnamese. Hochklassiges Tischtennis. Ich hol mir noch ein Bier oder...? Timo trinkt diese total angesagte Cola aus der winzigen Flasche: Das will ich auch.
Draußen wird zum dritten Mal gelöscht. Mitternacht. Der 1. Mai ist vorbei. Und, so weit ich das beurteilen kann, ist alles friedlich geblieben.

Aber darüber berichtet keiner.

Fortsetzung folgt.

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