20 März 2010

Erwin kommt nicht rein - aber ich

Erwin hat einen Ski-Anzug an. Wie ein Rennanzug für Ski-Rennfahrer sieht der aus. Neon und schwarz mit einer atmungsaktiven, wasserabweisenden Oberfläche. So etwas kauft man sich nicht jedes Jahr. Erwin zieht den Bauch ein, dann passt das schon.

Spindlers Mühl, im Tschechischen gelegen, im Riesengebirge, an der Schneekoppe, ist das traditionelle Berliner Wintersportgebiet - wenn es so etwas gibt.

Erwin ist aus Berlin und macht hier Wintersport. Und am Abend - es ist die frische Luft - und weil es ja auch dazu gehört und Erwin ist sowieso gut drauf (und er wundert sich, wie er die Zigaretten hier verträgt) und es ist Samstag und: Er will noch auf die Piste, das ist doch klar.

Anfang März ist Nachsaison an der Schneekoppe. Längst ist nicht mehr alles voll. Die Einheimischen und die Saisonkräfte sind erschöpft.

Erwin aber will heut lustig sein. Kann Erwin nur mit Alkohol lustig sein? Weiß er selber nicht genau. Das wird er heut auch - ganz sicher - nicht ausprobieren. Am Imbiss trinkt er noch ein Bier. Hier ist Stimmung und Musik und EuroSport: Schumi im Fernsehen.

Erwin ist Anfang 40, lockiges Haar, etwas Übergewicht, vom Leben gezeichnet... mit Humor, wahrscheinlich Handwerker - ich hab's nicht rausgekriegt - z.B. Elektriker. Geschieden, Toyota, schätz ich mal.

Dass ich Erwin kennen gelernt habe, das kam so: Der alljährliche Firmenausflug führte in diesen Ort. Aber ich denke, ich muss ein wenig ausholen:

Der Abend begann mit dem Abschlussessen. Ich kam 'n bisschen zu spät, voll peinlich, weil, ich hatte mich noch geduscht oder sowas und da war die Vorspeise schon abgeräumt. Und natürlich alle Plätze besetzt. Voll blöd. Ich denk dann immer, alle gucken, aber keiner will mich haben, hoffentlich ist mein Reißverschluss nicht offen, es ist immer peinlich, so im Mittelpunkt zu stehen. Ich also: total froh, als mir 'n Platz angeboten wird... Ich guck, wer da am Tisch sitzt, wink' ab: Nein, nein, sehr freundlich, aber... Doch man besteht drauf, da kann ich schwer nein sagen und dann sitz ich da: Mit dem Leiter "HR", Zweien vom neuen Vorstand und noch Zweien, die auch heran gewunken wurden, um zu demonstrieren, wie sozusagen volksnah sich der neue Vorstand zeigen kann. Guten Appetit. (Was mach ich jetzt mit der Serviette?)

Ich war in dieser Situation nicht so locker und entspannt wie jetzt hier (auf dem Papier) sondern schüchtern und ängstlich darauf bedacht, keinen peinlichen Fauxpax zu produzieren. Es gab Fleisch, Gemüse, Kartoffeln und Soße. Der Vorstand aß alles auf, nur ein Stück vom Fleisch ließ er zurück gehen. Das fiel mir auf. So isst man erfolgreich! (Wer es sich merken will.) Wir sprachen über das Essen und das Ambiente. Interessant. Und peinlich war es dann leider doch noch, als ich im Rahmen des Smalltalks die Faulheit lobte. Da hab ich gesehen, wie derVorstand die Ohren gespitzt hat. Ich glaub aber nicht, dass er sich meinen Namen gemerkt hat. Dabei war es nett gemeint, im Sinne von Ressourcen-Management, vielleicht kann ich das noch mal richtig stellen... Zum Nachtisch dann Schokokuchen.

Schon warten vor der Tür die Busse. Transfer zur Disko, zur Party, zum Fest. Morgen geht dann wieder nach Berlin. Und dann ist auch schon wieder Montag. Mit dem Bus durch den Ort, dann zu Fuß den Berg hinauf: Da ist die Location.

Das erste, was aufällt, wenn man diese Disko-Asprés-Ski-Hütte von Spindlers Mühl betritt, ist der Käfig neben der Tanzfläche. Fn etwa 140cm Höhe ist da ein Gitterkäfig, 1x1 Meter Grundfläche, zwei Meter hoch.

So etwas hatte ich bisher nur im Fernsehen gesehen oder im Internet. - Die Garderobe ist dort hinten und alle Getränke sind frei. Laut ist die Musik. Den DJ hat die Firma mitgebracht. Los geht die Party. Black Eyed Peas - I've got a Feeling! "Lets paint the Town": "Mazel tow." - Plötzlich ist da eine junge Dame in dem Käfig. Sie sieht aus und bewegt sich wie die 3D-Animation einer Gogo-Tänzerin. Wahrscheinlich steh ich zu weit weg. Aus der Nähe sieht man, dass sie echt ist. Ihr Höschen ist lila-weiß gestreift. Und drunter trägt sie eine hautfarbene Strumpfhose.

Ehrlich gesagt hätte ich es nicht für möglich gehalten aber: Knapp bekleidete junge Frauen, die sich in Käfigen aufreizend zur Musik bewegen - das ist durchaus erotisch stimulierend. - Das ist natürlich Sexismus! Einerseits.... Andrerseits: Die Käfige sind nicht wirklich verschlossen! Es ist alles nur ein Spiel. Man will auch mal das Leben genießen usw. Wir trinken Gin und Tonic und Wodka und RedBull. Zum Rauchen gehen wir vor die Tür. Da steht ein Heizpilz. Die Organisatoren haben an alles gedacht.

Und da steht Erwin. Und kommt nicht rein. Wie reden kurz mit ihm. "Geschlossene Gesellschaft". Und wir kommen auch aus Berlin. Was für ne Firma wir sind, will er wissen. "Internet", sagt einer aus dem Sale zu ihm "verstehst du eh nicht." Erwin ist auf eine routinierte Art betrunken, ganz lustig eigentlich. Aber rein kommt er nicht.
Dabei wär es für ihn genau das richtige. Vor allem mit der Dame im Käfig. Er versucht es nochmal, wird wieder abgewimmelt von der Security... Er wertet die Party enorm auf durch sein vergebliches Anrennen. Erwin kommt nich rein - ich schon. Das Leben ist schön, wenn man auf der Gästeliste steht.